Huhn Klaus

Lügen wie gedruckt: 25 Jahre Anti-DDR-Feldzug
oder: Wie sie uns unsere Geschichte erklären,
edition berolina, www.buchredaktion.de, Berlin, 2014, Tb., 144 S.,
Best. Nr. 10437, 9,99 € zzgl. Versand (zus. 13,98 €)

Dass ein „Bestseller, exklusiv und nur bei uns“ im Kontext eines wöchentlichen Internetangebots von Distributor, Schriftsteller und Lehrer im Unruhestand,Wolfgang Lange (*1942), angepriesen wird, bedient zunächst nur die Redewendung, dass Klappern nun mal zum Handwerk gehört, wenn es darum geht, dem ehemaligen Sportchef des Neuen Deutschland (SED-Zentralorgan), Biograph namhafter SED-Funktionäre, führendem „Apologeten des DDR-Dopings nach der Wende“, Verleger („spotless“) Klaus Huhn (*1928) eine Leserschaft für eine Publikation zu erschließen, die dialektisch zwischen eigener Nostalgie und politischer Ostalgie schwankt.

Die Neuerscheinung reiht sich nahtlos ein in eine Abfolge von Titeln wie das „Kleine Handbuch der großen Lügen über die DDR – Die DDR hat's nie gegeben“ (2009) oder die Polemik gegen die Aufbauhelfer aus der BRD „Die Flachzangen aus dem Westen“ (2011). Zugegeben: Titel und Untertitel machen in einer Zeit neugierig, wo Fälle von Schönreden des Alltags in der DDR zunehmen und kritische Autoren gerne der Vorwurf gemacht wird, sie wollten ja „nur die DDR schlechtreden“.

Der Autor greift für seinen Ansatz auf seinen Jugendfreund, den DDR-Staranwalt Friedrich Wolff (*1922), KPD/SED-Mitglied und Mitbegründer der Neuköllner FDJ zurück: „Die DDR soll nicht sein. Positive Erinnerung ist Nostalgie oder Ostalgie, die DDR ist ehemalig, ist miefig, ist totalitär, ist ein Unrechtsstaat, ist die zweite deutsche Diktatur, vergleichbar mit dem Hitler-Staat, war ein Gefängnis oder gar ein KZ. - Warum diese mediale Anstrengung? Sie fürchten, dass das Ende der Geschichte doch nicht gekommen ist, dass der Sozialismus wiederkommt“ (S. 29; zit. Darmstadt, 07.10.2004).

Klaus Huhn geht in seiner Publikation in die Vollen: „Wie die Medien uns verarschen“ hatte Wolfgang Lange angekündigt. Dazu zählen für Huhn v.a. die Schriften des Bundeszentrale für politische Bildung (zit. als die „Zentrale“ im Vergleich zum „redlichen Parteilehrjahr der SED“) und den angeschlossenen Landeszentralen, v.a. in den östlichen Bundesländern, die „Kontaktbörsen für Pädagogen“ (seit Schwerin 1990), das Fernstudium zur Umschulung von „StaBü-Lehrern“ der DDR zu Fachlehrern der politischen Bildung (seit 1991/92), die Verstärkung der politischen Arbeit der bpb durch die Übernahme von Personal aus dem aufgelösten „Gesamtdt. Institut“ (ab 01.01.1992) oder den Fachkongreß „Getrennte Vergangenheit – gemeinsame Geschichte? Geschichtsforum 1949 – 1989 – 1999“ (Berlin, 1999). Weil „Demokratie politische Bildung braucht“ - so formuliert in den Lageberichten der Bundesregierung (1991/1998) oder dem „Münchner Manifest“ der „Zentrale“ und den Landeszentralen für politische Bildung (1997) – wollte Klaus Huhn als Titel seiner Buches auch “Das gewendete Parteilehrjahr“ vorschlagen, was als Attribut seinen „Belegen“ jeweils beigefügt wird, v.a. Publikationen aus der Schriftenreihe der bpb und des auf Schüler abzielenden „flu-ters“.

Seine Polemik richtet Klaus Huhn ebenso gegen Printmedien wie das „Legendenblatt SUPERillu“, dessen „geldgieriger Verleger aus dem tiefsten Westen“ (S. 36) ebenso sein Fett abbekommt wie das Nachwuchstalent (*1976) aus Wachau bei Leipzig oder der von ihm interviewte Roland Jahn aus Jena als Bundesbeauftragter der BStU (Berlin) für sein Bemühen, ehemaliger Stasi-Mitarbeiter aus dieser Behörde wegversetzen zu lassen (zit.: „Rache ist nicht mein Sinnen, ich wünsche mir Versöhnung“, S. 37).

Fehler in Printmedien spießt Klaus Huhn ebenso auf wie die Reizbegriffe „DDR als Unrechtsstaat“ oder „Stasi-Gräuel“, die er als politische Kampfbegriffe „ohne Meßlatte, ohne Norm“ einstuft. Und er zieht den roten Faden in der BRD von den „Kommunisten als Hauptfeinden“ (1949-1968) bis zu den 100 000 Ermittlungsverfahren der BRD-Justiz „gegen die Roten“, begleitet von Berufsverboten und Rentenkürzungen ehemaliger Verfolgter des NS-Regimes. Dass es laut Klaus Marxen und Ger-hard Werle (Humboldt-Universität Berlin) nur in 289 zu Verurteilungen kam, ist für Klaus Huhn Anlaß, den Spieß umzudrehen: BRD als „Rechtsstaat“ oder „freie Presse“ werden in Anführungszei-chen zitiert, wobei der Autor ein Interview mit Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen aus dem Berliner Tagesspiegel vom 08.09.1999 als Beleg dafür erwähnt, dass die „Ankläger zur Delegitimie rung der DDR beitragen“ sollten (Klaus Kinkel, FDP, ehem. Bundesjustizminister, 1991), wobei die Zahl der Verurteilungen „nicht reiche, um zu sagen die DDR sei ein Unrechtsstaat“ (ebda, Generalstaatsanwalt Schaefgen). Klaus Huhn verschweigt allerdings, dass und warum es nur zu 587 Anklagen und davon nur 281 Verurteilungen und zu einer relativ geringen Strafhöhe kam und in dem Interview erklärt wurde, „warum es so schwer ist, Diktatoren zu bestrafen“ (hier: Erich Honecker) und der von SED-Funktionären gerne verwendete Begriff „Siegerjustiz“ fehl am Platze sei.

Zurück zum Begriff „gewendetes Parteilehrjahr“: Bei Klaus Huhn ist als überzeugtem SED-Funk-tionär vom original SED-Parteilehrjahr tatsächlich „etwas hängen geblieben“, nämlich eine sehr selektive Wahrnehmung der DDR-Geschichte und des Alltags in der DDR. Seine polemische Schrift bestätigt vielleicht Altkader von SED/PDS und Genossen von Die LINKE in ihrer Überzeugung. Es ist allerdings zu kurz gegriffen, in museumspädagogischen Konzepten zum DDR-Alltag als Hauptmotiv die Maxime sehen will: „Für alles, was sich gegen die DDR verwenden lässt: Her damit! Und nie nachlassen!“ Fazit: Das von Klaus Huhn eingespielte Brecht-Zitat „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“ (S. 19) wendet sich gegen den Polemiker selbst, denn als ND-Spartenchef war und ist er kein Dummkopf. Mag eine Polemik auch begrenzt unter dem Kunstvorbehalt stehen und Karnevalsklubs ein Ventil sein, das in Diktaturen auch eine therapeutische Funktion hat: für Klaus Huhn könnte der Titel der Broschüre des Bürgerkomitess Thüringen e.V. (1999) über Akteure, Zensur und Selbstzensur von Karneval in der DDR zum Zwölfer auf der Schützenscheibe werden: „Lügensäcke“. Halten wir es daher mit Volker Kauder, der zurecht forderte, dass es auch „unter die SED-Diktatur keinen Schlussstrich geben“ darf, denn „semper aliquid haeret“ - „Irgendwatt blieb immer hängen“ (S. 6).

Willi Eisele
Wolfratshausen